Aspen im US-Bundesstaat Colorado ist das, was St. Moritz für die Schweiz ist. Der noble Skiort in den Rocky Mountains ist das Zuhause von Stars und Sternchen. Der Ort ist das Gegenteil vom Partyhügel Ischgl, wo eine rege Après-Ski-Szene herrscht.
Hier geniessen die Gäste die 220 Kilometer langen Pisten-Abfahrten in unberührter Natur, den Pulverschnee, gemütliche Abende am knisternden Kaminfeuer und die noblen Einkaufsmeile im Ort, welche mit eleganten Boutiquen überzeugen. Hier stimmt das Standort-Marketing und hier sorgt die konsequente Ausrichtung auf den Geldadel für Begeisterung.
Wer eine Auszeit vom Skifahren braucht, kommt in Aspen nicht zu kurz. Abseits der Pisten findet der Gast Luxus pur. Edel-Boutiquen wie Chanel, Valentino, Moncler, Crunello Cucinelli und viele mehr laden zum exzessiven Shoppen ein. Skihütten und Bars wie die berühmte
J-Bar verführen zu einer genussvollen Pause. Und auch die hervorragenden 5 Sterne Hotels wie das Riz-Carlton oder The Little Nell versprechen angenehme Abwechslung und unvergessliche Ferienerlebnisse. Die Strassen am Ort lassen die Standort-Positionierung erahnen; Luxuskarren soweit das Auge blicken kann. Natürlich hat das auch seinen Preis: Der Tages-Skipass kostet 160 Dollar und das Fünf-Sterne-Haus gibt’s neu ab 1600 Dollar pro Nacht – rund 30% Preis-Aufschlag zu 2017, als die Nacht bei gleicher Ausstattung noch rund 1100 Dollar kostete. Doch hier kümmert das niemand. Wie zeitgemäss der Ort aufgestellt ist, zeigt sich auch an den Events; vom Sport-Grossanlass bis zur Gay-Ski-Week im Januar findet sich für jeden was. Die konsequente Positionierung des Ortes macht sich auch auf dem Immobilien-Markt bemerkbar; hier gibt es kaum ein Haus unter 1.5 Millionen Dollar. Eben edel.
Luxury meets Lifestyle – Vielfalt gefällig?
Von einem Standort-Marketing wie jenes in Aspen dürfte die Hotellerie auf der Lenzerheide (GR) träumen. Zu dieser Ansicht verführen die Übernachtungszahlen: Im Geschäftsjahr 2010/11 wurden 221´847 Hotel-Übernachtungen verkauft. 10 Jahre später – und weit über 100 Millionen Franken an Investitionen in die Infrastruktur – verkauften die Hotels 227´069 Nächte jährlich. Die Zahlen sind mehr und minder seit Jahren konstant. Bei rund 2000 Hotelbetten und einer alpinen Hauptreisezeit von 8 Monaten – vier Monate Sommer- und vier Monate Wintersaison – kommt man im optimistischsten Fall auf eine Bettenauslastung von 47%. Die Realität liegt näher bei 30% Auslastung im Jahr. Dieser fehlende wirtschaftliche Nährboden führte zu einem Hotelsterben vor Ort. Alleine in den letzten fünf Jahren machten drei Hotels dicht, viele andere Hotels wurden von einem Investor aufgekauft. An der Infrastruktur kann es nicht liegen; den Gast erwartet im Sommer wie Winter ein Top Angebot.
Liegt es an fehlenden Events mit Strahlkraft? Nein. Auf der Lenzerheide finden unter anderem Bike-WM, Skiweltcup und IBU-Cup statt. Jedes Highlight führen zu Vollauslastung der Hotels während wenigen Tagen im Jahr. Diese Top-Events scheinen am Ende leider nicht mehr als ein Strohfeuer zu sein. Die Betten am Ort bleiben im Mehrjahresvergleich kalt. Kritisch muss zudem der Zeitpunkt der Durchführung betrachtet werden; die meisten Events finden zu einem Zeitpunkt statt, wo die Feriendestination bereits aus allen Nähten platzt. Ein weiterer fehlender Mehrwert für die Herbergen. Schlimmer noch. Diese Events – finanziert von der Feriendestination – füllen Hotels ausserhalb der Feriendestination.
Verfügt Lenzerheide nicht über das nötige Image, um die Hotels auszulasten? Wahrscheinlich. Das Hochtal ist – trotz einzelnen internationalen Veranstaltungen – kaum über die Landesgrenze bekannt. Mehr als 80% der Gäste stammen aus der Schweiz. Problematisch ist auch das fehlende Profil der Feriendestination: Für was steht die Lenzerheide? Familien? Wintersportler? Biker? Wanderer? Kulturgeniesser?
Kennen Sie die Kernaufgabe einer Tourismusorganisation?
Wäre es nicht das Ziel der lokalen Vermarktungsorganisation für volle Hotelbetten zu sorgen? Schliesslich finanzieren die Hotels, bzw. die Übernachtungsgäste mit ihren Kurtaxen, den Tourismus vor Ort. Das scheint keine Priorität zu haben. Die Verantwortlichen sind damit ausgelastet, die Region auf Hip zu trimmen. Dieser Eindruck wird mit millionenschweren Investments ins Sommer-Bike-Geschäft untermauert. Doch ist das der rentable, touristische Weg für die Feriendestination? Marc Schlüssel, Marketingleiter der Vermarkungsorganisation, bringt es in der Aargauer Zeitung vom 8. Juli 2019 auf den Punkt: «Das grosse Geld verdient die Bahn mit den Bikern zwar nicht…» so der Marketer und weiter «…es ist für uns ein Nullsummenspiel.», so Schlüssel. Ein Nullsummenspiel ist es auch für die Hotels vor Ort, so zumindest die Zahlen aus den Logements. Und trotz dieser Erkenntnis, verballern die verantwortlichen Touristiker ein Jahr später munter 1.2 Millionen in eine Sommerkampagne namens Bike Kingdom. Zeitgleich zum royalen kommunikativen Schwachsinn investiert die Gemeinde Vaz/Obervaz nochmals 1.8 Millionen dafür, dass die akquirierten Biker an den Wanderern vorbeikommen. Letzteres dürfte sich wenigstens auszahlen. Schweizweit werden pro Jahr mehr als 2.8 Milliarden Franken mit Wanderer umgesetzt.
Wann kommt das Verursacherprinzip in den Bündner Bergen an?
Die jährlich hohen Investitionen im Tourismus bringt auch die Gemeinde ans Limit. Um neue Geldquellen zu erschliessen, warben die Beamten vor zwei Jahren um ein neues Tourismusgesetz. Dieses sah vor, Hotels und Zweitwohnungsbesitzer mit Pauschalsteuern zu belasten. Statt Kurtaxen – Frankenabgabe pro Gast und Nacht – sollten die Hotels pauschal pro Zimmer bezahlen, egal wie die Jahresauslastung des Hotels ist. Auch die Wohnungsbesitzer sollten mehr zahlen als bisher. Und welchen Mehrwert erwarten die Gastgeber vor Ort? Eine Vermarktungsorganisation die es nachweislich innerhalb von 10 Jahren nicht schaffte, die Anzahl Übernachtungen merklich zu steigern um damit höhere Deckungsbeiträge für die touristische Infrastruktur einzunehmen. Die fehlende Vision der Gemeinde im Standort-Marketing hat eine desaströse Tragweite. Mit kalten Hotelbetten verliert der Ort an Attraktivität, was schlussendlich auch zum Zerfall der Immobilienpreise führen könnte. Die Tagesgäste zahlen zwar Bergbahntickets, profitieren jedoch von teuren Gratisleistungen wie kostenloser Sportbus, günstiges Parking etc.. Doch ohne die Hotelgäste bleiben die Ladenlokale leer und Restaurants sind schlecht besucht, was Jobs kostet. Die Steuereinnahmen sinken bei gleichbleibenden Kosten. Die strategische Fahrt auf Sichtweite seitens der Gemeinde führt dazu, dass in jüngst Investoren gelockt wurden, die wenig Wertschöpfung in den Ort bringen. So haben sich in den letzten fünf Jahren zwei Billig-Hotel in der Region niedergelassen. Die neuen Anbieter trugen wesentlich zum Preiszerfall der Übernachtungspreise bei. Beispiel gefällig: Zum Sommersaisonstart anfangs Juni 2020 durfte man die Bündner Hochebene im neusten Hotel vor Ort zum Preis von 40 Franken pro Nacht/Person geniessen. Damit wird ein Übernachtungspreis aufgerufen, welcher tiefer liegt, als ein in gleicher Zeitdauer belegter Parkplatz im Herzen der Stadt Zürich.
Fehlt der Lenzerheide eine strategische Standort-Vision?
Mit zunehmender Konkurrenz – insbesondere im Tourismus – wird der Fokus auf ein professionelles Standort-Marketing, welche sich um die Bereiche Wohnort- und Tourismusmarketing sowie Wirtschaftsförderung kümmert und koordiniert elementar. Die sich so eröffnenden Entwicklungspotenziale für den Tourismus ist enorm, was im Bündner Hochtal noch nicht angekommen zu sein schein. 2018 entzog die Lenzerheide Bergbahnen AG der Vermarktungsorganisation das Vertrauen. Mit der Kündigung der Zusammenarbeit fehlte der Vermarktung rund 1.2 Millionen Franken pro Jahr. Damit einhergehend wurde eine Reorganisation eingeleitet, welche vorsah, dass die Vermarktung sich ausschliesslich auf die Kommunikation fokussiert. Die Leistungsträger – insbesondere die Hotels – sollten das eigentliche Produkt selbständig ausbauen und vermarkten. Das diese Stossrichtung nicht der knusprigste Keks in der Keksdose ist, zeigt die Realität: Schlecht ausgelastete Hotels im Ort und Marketinganstrengungen, die ihren Schwerpunkt auf den Bahnbetrieb legen. In der Folge stirbt das Dorf aus mit fatalen Folgen. Wer will schon Ferien auf einem Friedhof verbringen? Klar, die Tage sind sonnig und der Sport am Berg toll. Doch wie gestaltet sich der Abend, wenn man vom Berg ins Dorf heimkehrt? Kein Shopping-Erlebnis, kaum Kultur, einige wenige tolle Restaurants. Und die Spirale dürfte sich weiter in eine Richtung drehen; nach unten. Welches Luxus-Hotel investiert in ein Dorf, welches so öde ist, wie eine verlassene Westernstadt? Noch heute hat Lenzerheide kein einziges Luxushotel. Und es sind die Luxushotels, welche Jobs schaffen. Falls Sie nun glauben, dass die Bergbahnen zu den Gewinnern der gelebten Strategie gehört, irrt. Die Aktienmehrheit der Bergbahn ist im Besitz der Gemeinde Vaz/Obervaz. Der ausgewiesene jährliche Gewinn der Bahn liegt im besten Fall unter 200´000 Franken, was im Verhältnis zu den Investitionen jedem Investor Pipi in die Augen treiben dürfte. Bleibt die Frage, wo sieht sich Lenzerheide in 5 Jahren? Ausschliesslich im Tagestourismus? Oder möchte die Gemeinde funktionierende Hotels? Funktionierende Restaurants? Eine belebte Einkaufsstrasse? Sichere Jobs – bestenfalls Jahresjobs? Möchte man der Bevölkerung zahlbare Steuern zumuten?
Weg vom Tourismus-Marketing und hin zum Standort-Marketing
Lenzerheide braucht ein funktionierendes Standort-Marketing, welches nach strategischen Visionen den Ort in die Zukunft führt. Zusammengefasst dürften nachfolgende Elemente dabei den Schwerpunkt bilden:
Nationales Destinationsmarketing
Hier sind alle Massnahmen festzuhalten, welche Ankünfte, Logiernächte und Frequenzen am Ort steigern. Es reicht nicht, einmal im Jahr einen Grossevent zu veranstalten.
Wirtschaftsförderung
Darunter fallen alle Anstrengungen, die Region zu beleben und anzukurbeln. Egal ob Neuansiedlungen von Unternehmen, Hotels, Handelsbetriebe oder Gastro-Angebote. Hier gehören unter anderem auch Beratungs- und Finanzierungsangebote dazu. Ganz wichtig für den Ort wäre ein neues fünf Sterne Hotel.
Wohnortmarketing
In dieser Kategorie finden wir das Zusammenspiel von Immobilien- und Arbeitsplatzangeboten, hoher Lebensqualität und gut ausgebauter Infrastruktur sowie intelligenter Steuerpolitik. Ziel muss es sein, eine Abwanderung zu verhindern und der Bevölkerung auch ausserhalb der Saison ein belebtes Daheim anzubieten und dazu gehört – nebst Sport am Berg – Kulinarik, Shopping und Kultur.
Dorf-Management
Für ein belebtes Dorf ist grundsätzlich das Gewerbe verantwortlich. Jedoch lässt sich das Gewerbe durch gezielte Veranstaltungen, Verkehrsplanung, einen spannenden Branchenmix und die komfortable Gestaltung des Dorfkerns unterstützen, mit dem Ziel, den Gast zum Verweilen am Ort einzuladen.
Das Potential des Hochtals Lenzerheide ist übergross. Mehr noch; die faszinierende Alpenwelt der Hochebene versprüht einen Zauber, welcher es spielend mit Destinationen wie Aspen aufnehmen kann. Formidabel gelegen, ist die Feriendestination von Mailand bis München in wenigen Autostunden erreichbar. In der Vergangenheit wurden gute Impulse gesetzt. Heute, bei erdrückender Konkurrenz und einem explodierenden Wettbewerb geht es mehr denn je darum, die Anziehungskraft der Marke zu fördern. Schafft das Lenzerheide? Die Gemeinde wirkt aktuell verschlafen, ja geradezu verstaubt. Man sucht vergeblich nach Innovation und Strahlkraft über Schweizer Grenzen hinaus. Der heutigen Vermarktungs-Organisation fehlt es an einer Vision. Wo bleiben die Machertypen, die anpacken und mit mutigen Entscheiden in die Zukunft schreiten?
Wie erleben Sie das Marketing an Ihrem Wohnort? Betreiben die Verantwortlichen Marketing von gestern oder denkt man bereits grenzübergreifend in die Zukunft? Wie wichtig ist Ihnen eine fortschrittliche, innovative Heimatgemeinde? Sprechen Sie mit und teilen Sie mit uns Ihre Meinung. Ihren Shitstorm über unsere kritische Betrachtung in diesem Artikel dürfen Sie mir direkt senden: info@vm-Network.com).
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